(22) Wir spielten mit den Waffen

Früh am Morgen bekamen wir die Nachricht, dass wir unsere Häuser räumen sollten. Als Begründung wurde uns gesagt, dass die Engländer heute noch in Heiden einziehen könnten. Ich und meine Eltern und Geschwister nahmen Lebensmittel und Decken mit und gingen in die Uhle. Dort wollten wir unser Lager aufschlagen und schlafen. Aber alle Plätze waren schon belegt. Wir nahmen unsere Sachen und gingen in einen anderen Wald. Als wir unser Lager aufgeschlagen hatten, hörten wir schon von weiten die Kanonen der Engländer. "Bald werden sie in Heiden sein," sagten uns unsere Eltern. Gegen Mittag des 28.03.45 wurde Heiden plötzlich angegriffen. Die Engländer bombardierten unsere Kirche. Sie wurde zweimal getroffen und schwer beschädigt. Vor einer Woche waren deutsche Soldaten nach Heiden verlegt worden, sie flüchteten alle. Die Kriegswaffen ließen sie aber in Heiden. Wir hatten Freude daran, dass das die Soldaten die Militärfahrzeuge da gelassen hatten. Meine Freunde und ich spielten mit den Waffen, als wären sie nur Spielzeug. Einmal wurde einer beim Spiel verletzt, danach durften wir nicht mehr in die Scheune gehen, wo die Wagen standen. Nachmittags um 3.00 Uhr wurde Heiden wieder beschossen. Zum Glück hatten alle ihre Häuser verlassen. So konnte keiner verletzt werden. Mein Vater und andere Männer stellten Panzersperren auf die Straße. Sie wollten dadurch versuchen, die Panzer zu stoppen. Als es dann Abend wurde, wurde das Dorf noch einmal beschossen. Sofort standen mehrere Häuser in Brand. Viele versuchten, die Häuser zu retten. Aber es nutzte nichts. Sie brannten nieder. Als meine Familie später beim Essen in der Uhle war, kam plötzlich jemand in unser Lager und erzählte uns, dass die Engländer unmittelbar vor Heiden ständen. Wir wollten versuchen, wieder ins Dorf zu kommen, aber unser Vater ließ uns nicht gehen. Er hatte Angst um uns. Am späten Abend zogen die Engländer in Heiden ein. Vorweg rollten die Panzer und machten den Weg frei. Darauf folgten die Soldaten in Lkws. Am nächsten Tag mussten wir uns alle bei den Engländern melden. Wir wurden in ein großes Buch eingetragen. Die Scheune, worin die Militärfahrzeuge der deutschen Soldaten gewesen waren, wurde niedergebrannt.

Heiden hatte vor dem Krieg riesige Wälder. Sie wurden zum Teil von englischen und amerikanischen Fliegern zerbombt.

Wir brauchen zu Hause Holz für das Feuer. In den Wald konnten wir nicht, weil der ein Munitionsdepot geworden war. Uns aber kam eine Idee. In der Nähe waren in Erdlöchern Kästen mit Patronen und Dynamit. Die Patronen ließen wir liegen, und die Kästen nahmen wir mit. Am Mittag hörten wir plötzlich ein lautes Knallen und Krachen. Später hörten wir, dass ein Mann beim Holzsuchen in eine Mine getreten war und getötet wurde. Im Rathaus mussten sich die Männer melden, die die Panzersperren aufgebaut hatten. Sie mussten diese wegräumen.
(Heribert Nienhaus)