© Heidi Schüller
Es war eine sehr anregende Zeit, der Sommer 1972. .Die erste Olympiade der jungen Bundesrepublik, die erste in Deutschland nach dem Krieg, die erste nach den politisch instrumentalisierten Spielen in Berlin 1936.
München sollte bewußt anders werden: Leicht, beschwingt , heiter, jung und lebendig. Alle in allem ist das gelungen, zumindest am Anfang. Das Wetter war herrlich, die Eröffnungsfeier eine besonders amüsante farbenfrohe Veranstaltung.
Eine ganze Stadt war "swinging " - in den Farben hellgrün/hellblau. Die Menschen - Aktive und Besucher waren extrem kommunikativ. In der Stadt und im Stadion herrschte ein babylonisches Sprachgewirr - aber irgendwie hat offensichtlich jeder jeden verstanden. Mit Händen und Füßen und mit den bunten symbolischen Zeichen, die an jeder Ecke als Wegweiser standen. Jeder war Teil des gelungenen Ganzen. Die ersten sportlichen Erfolge waren da. Ein Rekord jagte den nächsten. Sport entwickelte sich zunehmend zu einem riesigen gesellschaftlichen Ereignis und wurde live weltweit übertragen. Und daß Sportlerinnen nicht alle wie Tamara Press aussehen mußten, sondern insbesondere bei den Deutschen viele "Fräuleinwunder" als mediengängige Werbeträger für die olympische Bewegung entdeckt wurden, beförderte die Entwicklung des Sports zur Showveranstaltung. Meine Prominenz verbuche ich eher auf dieser Schiene. Die Menschen verbinden mit mir ein Gefühl. Ein gutes Gefühl an einen wunderschönen Tag in München oder am Fernseher.
Nach dem Eröffnungstag, der weltweit übertragen und als besonders gelungene Veranstaltung in die Annalen einging, entwickelten sich die ersten sportlichen Tage erst völlig normal. Siege, Niederlagen - alles im geordneten sportlichen Rahmen. Bis zu dem verhängnisvollen Tag bzw. der Nacht. war alles so unbeschwert .Danach lag Blei über München und dem olympischen Dorf.
Um weltweite Aufmerksamkeit für ihre politischen Anliegen zu erringen und Verbündete freizupressen, nahmen Terroristen israelische Sportler und Trainer als Geiseln. Der tragische Ausgang dieses Ereignisse ist bekannt. Er wird immer wie ein Trauerflor die zweite Seite der Münchner Olympiade bleiben. Ich kam an diesem Morgen sehr früh aus München ins olympische Dorf zurück und wunderte mich schon im Auto über die zahlreichen Absperrungen der Polizei bzw. des Bundesgrenzschutzes in der Nähe des olympischen Dorfes. Über das Autoradio erfuhr ich von dem Desaster. Die Zufahrt und das ganze Dorf waren hermetisch abgesperrt. Nur nach schärfsten Kontrollen durfte ich in mein Zimmer.
Die Mannschaftsleitung hat uns zusammengetrommelt und uns gebeten, vorerst das Dorf bzw. unsere Etagen nicht zu verlassen. Wir verfolgten das Drama am Radio und besuchten die israelischen Sportlerinnen. Von oben konnten wir auf die Flachdächer der Bungalows sehen, in denen sich das Drama abspielte.
Ein paar Terroristen rissen uns alle aus unserer Illusion einer sorgenfreien Enklave, die München damals war. Zumindest vordergründig. Der Schmerz und das Leid dieser Israelis werde ich nie vergessen, ihre Panik und Verzweiflung, ihre Ohnmacht. Die Geiseln und späteren Opfer waren ihre Freunde, Lebenspartner und Trainer. Sie waren voller Sorge und verzweifelt. Ich will die den Ausgang der Befreiungsaktivitäten nicht beurteilen - für die übriggebliebenen jungen Sportler und Sportlerinnen war dieses Ereignis ein Fiasko. Ich habe selten so desillusionierte Menschen gesehen. Sie lebten immer und überall mit der Bedrohung. Zwar immer schon, mit eigenen Sicherheitsleuten und hoher persönlicher Wachsamkeit - aber hier war die grausame Realität so brutal in ihr Leben eingebrochen - zu einer Zeit und an einem Ort , wo man für sich für eine kurze Zeit in Frieden wähnte.
Daß die Offiziellen später nach der Trauerfeier mit einem " The games must go on" nach allzu kurzer Schamfrist zur Tagesordnung übergingen, bleibt für mich menschlich immer noch unverständlich. Die Spiele in München und überhaupt gingen weiter, aber es waren andere Spiele, ein bedrückter "spirit". Der Medieneinfluß nahm rapide zu. Nach 1972 haben sich die olympischen Spiele immer kommerzieller entwickelt. Die Athleten haben sich das Konzept zu sehr aus der Hand nehmen lassen. Sie sind die Akteure - sie müssen um ihren Einfluß und auch um ihre Rechte viel mehr kämpfen. Daß alte Männer und zynische Funktionäre mit Macht und Einfluß da ihr eigenes Süppchen kochen, ihre Marke " Olympia "als weltweites Kommerzprodukt veredeln und dabei Athleten mit Brosamen abspeisen und gar ihre Gesundheit gefährden - das darf nicht sein. Für mich war nach 1972 Schluß, ich habe mein Medizinstudium beendet, bin Anästhesistin und Oberärztin an einer Uniklinik geworden, später noch Journalistin, Fernsehmoderatorin und Buchautorin geworden. Ich arbeite überall in Europa , bin immer noch viel unterwegs. Meine Kinder sind heute 20 und 15 Jahre alt, sehr sportlich, aber auch sehr musikalisch und Gottseidank problemlos und selbstständig in der Schule. Ich weiß, wie glücklich ich darüber zu sein habe. Bin ich auch.
Mein Leben ist anders geworden - aber spannend geblieben. Das, was auf euch wartet - nämlich lebenslanges Lernen, Berufswechsel, mehrere Jobs im Leben - das habe ich hinter mir. Es hält einen jung und lebendig - also keine Angst! Engagement und Leistung, Zähigkeit und Emotionalität - alles Dinge, die man im Sport braucht und lernt, gehören noch heute zu meinen Triebfedern. Das hat man offensichtlich " drin".
Euch alles Gute
Ihr müßt doch aus dieser verschnarchten Republik wieder ein fröhliches Powerzentrum machen. In unser aller Interesse: viel Glück dabei!
Eure Heidi Schüller
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